Roter Gockel

New Orelans - da geht man ins French Quarter, was nun mal Franzsoenviertel heißt, weil die AMis meinen, irgendwie so muss es auch bei den Franzosen uassehen, oder jedenfalls früher mal ausgesehen haben, jedenfalls irgendwie europäisch ist es hier. Steht in jedem Prospekt, kommt unsereinem als Europäer aber merkwürdig vor. Das Viertel neben dem French Quarter, in dem unser angenehmes Hotel steht und die anderen Hotels auch alle, ist tatsächlich ein wenig europäisch. Weil hier auch die Banken ihre Türme hingesetzt haben, zwischen denen sich die 15 Stockwerke unseres "La Quinta Hotels" geradezu klein ausmachen, sieht es aus wie in Frankfurt im Bankenviertel. Aber lassen wir das, ist ja auch nicht wahr, denn in Frankfurt gibt es nicht so viele abbruchreife ehemalige Industrie-Hallen, von denen einige als Lofts mit Galerien gefüllt worden sind, was ja seit längerem trendy ist. Leide, soweit wir das durch die Fensterscheiben sehen konnten, denn wir waren so früh unterwegs, dass die Galerien alle noch geschlossen hatte - leider also hatte ich nicht den Einruck, dass die Qualität der Kunst mit der Qualität der Innenarchitekten mithalten konnte. Aber schießlich kommt ja auch kein Mensch, also auch wir nicht, nach New Orleans, um sich Kunst anzusehen. Aber warum strömen dann so viele Menschen hierhin, dass es eine ungeheuere Hoteldichte gibt? Vergnügen. Das French Quarter ist für Amerikaner ein Vergnügungszentrum. Und wir mittendrin unter lauter Männern, deren Leibesumfang landestypisch nicht ganz dem entspricht, was die Ärzte empfehlen, und die landestypisch zum Zeichen, dass sie sich hier zu Freizeitzwecken aufhalten, Bermudajeans und T-Shirt tragen. Man geht durch die Strassen - eine, die Bourbon-Street, die dem schönen Blues-Lied ihren Namen gegeben hat, ist nach Sonnenuntergang zur Hälfte für den Autoverkehr gesperrt: Ein solch tiefer Eingriff in das Menschenrecht der ungehinderten automobilen Fortbewegung kann nur Europäern einfallen, ist also dann doch ein Zeichen für den europäischen Charakter des Viertels. Beim Gang durch die Strassen kann man nun allerlei Dinge machen, die dem vom puritanischen Geist der Männer in den Bermudas irgendwie verrucht vorkommen: Man kann saufen, vor allem Bier und Cocktails. Zu diesem Zweck gibt es hier etwa so viele Kneipen wie in der Düsseldorfer Altstadt. Man kann auch rauchen. Und wenn man schon einen Draufmacht, dann richtig. Eine Spezialität New Orleans sind nämlich Zigarren, die man in Zigarren-Kneipen raucht. Manche, die durch den Alkohol schon einige Hemmungen verloren haben, rauchen die Zigarren dann auch auf der Strasse. Ein weiteres Vergnügen kommt nur dem in dieser Beziehung zur Askese neigenden Europäer als eine Ausschweifung vor: Man frisst nämlich. Alles, von der Pizza bis zum kreolischen Seafood-Menü. Deshalb gibt es im French Quarter mehr Restaurants als Einwohner. Tippe ich mal drauf, denn wohnen kann hier niemand, vielleicht wohnen, aber nicht schlafen. Die wenigen Hotels, die hier noch sind, sind offenbar für Gäste gedacht, die sowieso die Nacht durchmachen und die die Tatsache, dass sie am nächsten Morgen nicht nur einen dicken Kopf haben, sondern auch noch todmüde sind, als gerechte Strafe für ihr Über-die-Stränge-Schlagen akzeptieren. Die Hotelrechnung auch. Ach, jetzt habe ich fast vergessen, wieso man hier nicht nur nicht schlafen, sonden sich auch nicht unterhalten kann: die Musik. Das French Quarter ist ja das Herz des Jazz. Der war schon zu den Zeiten, als der alte Armstrong hier noch gesichtet wurde, ziemlich laut. Aber inzwischen sind bekanntlich noch elektrische Verstärker erfunden worden, außerdem durch Fernost-Import so billig, dass jeder Kneipenbesitzer sich so eine Beschallungsanlage leisten kann. Dann muss man nur noch alle Türen aufmachen, eine Schild "Live Jazz tonight" irgendwo hinhängen, und schon strömen die Musik- und Bierliebhaber hinein. Musiker gibt es wie Sand am Meer. Die sind fast alle schwarz und unbekannt und machen lieber abends Musik, als dass sie morgens den Müll der Musikliebhaber wegräumen, was man ja auch verstehen kann. Ich möchte wetten, dass sie keine feste Gage für den Abend bekommen, sondern nur die Trinkgelder. Aus allen Kneipen dringt oder dröhnt also Musik, man sollte deshalb nicht in der Mitte der Strasse gehen, da vermischen sich die Bands von recht, links, vorne und hinten. Übrigens wird nicht überall Jazz-Musik gemacht, die ist ja doch irgendwie immer was elitär, die echte, und zieht die Massen nicht in die Kneipen. So gibt es alles, was die Pop- und Rockgeschichte hervorgebracht hat. Jazz oder Blues hören und ließen uns, nachdem wir die Köpfe in verschiedene Etablissements hineingesteckt hatten, in eines hineinlocken, in dem fünf Männer unter Führung eines ganz in knallrot gekleideten Gitarristen und Sängers Blues spielten. "Red Rooster" nannte sich der Mann, und sein Blues war wirklich nicht übel, auch die Band legte sich ins Zeug. Als der doch schon nicht mehr so ganz junge Red Rooster mal eine Pause machte, spielte die Band weiter, nun aber keinen Blues mehr, woran sie sichtlich mehr Freude hatten. Da die Flasche Budweiser 8 Dollar gekostet hat, tranken wir in kleinen Schlucken, war auch besser so, weil das Bier landestypisch viel zu kalt war. Der Red Rooster, so zeigte sich bald, hieß nicht nur wegen seines knallroten Anzuges so, er war auch sonst ein rechter Gockel. Trotz seines Alteres nämlich ließ er es sich nicht nehmen, allerlei Zweideutigkeiten in seine Texte einzuflechten und diese durch die entsprechenden Körperbewegungen zu verdeutlichen - für die, die wie ich nicht sofort verstanden hatten, wieso er immerzu begeistert wiederholte: "Du müsstest ein Spiegel sei, dann könnte ich mich in Dir drin sehen". Gut, die Frau, an die gerichtet er dieses Lied sang, die hat es sofort verstanden und ging körpersprachenmäßig begeistert drauf ein, was auch dem mitgebrachten Gatten sehr gefiel. Damit wären wir wieder beim "So-richtig-einen-Draufmachen". Jazz und Blues - wir haben es wahrscheinlich in der Schule nicht gelernt, hätten es aber überall lesen können - eine durchaus unpuritanische Angelegenheit, und die vereinzelten Nutten, die auf der Bourbon-Street extrem hochhackig und kurzrockig daher liefen, auch.

Der Klingelbeutel ging rum, hier war es allerdings ein Plastikeimer, in den man Dollarscheine zu werfen hatte, die vom Sänger angehimmelten Frauen und die, die noch angehimmelt werden wollten, kauften die CDs des Meisters und ließen sie signieren, was dieser auch mit einem dicken Edding tat. Nein, ich will nicht lästern, es war nicht schlecht in der Kneipe, uns hat er auch in ruhe gelassen, wahrscheinlich hat er direkt gemerkt, aus uns Europäern weder Begeisterungsschreie noch Dollarscheine zu entlocken waren. Nein, die Laune war gut im Club, der Abschied wurde uns dann doch etwas leichter gemacht. Als der Meister nämlich "When a Man Loves a Woman" intonierte, worauf eine Frau an der Bar sofort ihren mitgebrachten Mann tanzmäßig abknutschte, sah ich sich auf dem Boden etwas bewegen. Nun war es erstens dunkel und zweitens hatte ich keine Brille an, aber Roswitha war es auch nicht entgangen, dass eine fingerlange fette Küchenschabe langsam durch den Gastraum stolzierte. Praktisch, wie ich bin, legte ich daraufhin die Füße auf den Sessel gegenüber, was Roswitha aber für nicht vereinbar mit der Etikette hielt. Deshalb ging ich lieber zur Bar, um meine 16 Dollar zu überreichen, während Roswitha, nicht ohne dem Meister noch einmal einen Schein in den Plastikeimer zu werfen, direkt zum Ausgang schritt. Draußen war es wie vorher, nur vielleicht noch etwas lauter, noch etwas voller und noch etwas dreckiger auf den Strassen. Ob die doch sonst so hygienebetonten Amerikaner den Dreck und Gestank im French Quarter auch für genuin französisch oder gar europäisch halten?

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