Natur Imaginationen: Rede zur Eröffnung der Ausstellung in Erftstadt im Mai 2025
Setsuko Fukushima Achim Kirsch
Natur Imaginationen
Zu der Ausstellung im Künstlerforum SCHAU-FENSTER Erftstadt
vom 3. - 18. Mai 2025
Bei aller Verschiedenheit ihrer Werke haben die Künstlerin und der Künstler, die uns dieser Ausstellung ihre Werke präsentieren, etwas gemeinsam: Zunächst einmal die Tatsache, dass der Schwerpunkt ihrer künstlerischen Arbeit nicht im Bereich der „Flachware“ liegt. „Flachware“ - dieser Begriff spielt keineswegs auf den flachen Gehalt eines Werkes an, Archivare und Kunsthändler bezeichnen damit vielmehr ganz ohne Wertung zwei-dimensionale Werke, die so flach sind, dass man sie an die Wand hängen oder in Archivschränken aufbewahren kann.
Zweitens haben ihre Werke gemeinsam, dass sie in gewisser Weise flüchtig sind, jedenfalls schwer konservierbar. Im Gegensatz zu den traditionellen Skulpturen, die doch als Bronzeobjekte problemlos die Jahrhunderte überdauern und selbst dann, wenn sie aus Holz gefertigt sind, bei guter Lagerung lange haltbar sind, handelt es sich bei den Arbeiten, die hier ausgestellt werden, um recht fragile Werke. Schon das Material Papier und erst recht Videokunst lassen Archivare und Museumsleute die Hände über dem Kopf zusammenschlagen.
Ein drittes verbindet die beiden Künstler: Verglichen mit der „Flachware“ sind Objektkunst und Videokunst schwer verkäuflich. Beide haben es sehr schwer, sich auf dem Markt zu behaupten.
Setsuko Fukushima
Setsuko Fukushima, die in Tokio geboren worden ist und dort Kunst studiert hat, aber seit langem im Rheinland lebt, hat vor gut 10 Jahren an einer Gruppenausstellung teilgenommen, deren Titel ihr Werk gut charakterisiert: Natürlich Natur. Diese Ausstellung hat der voriges Jahr verstorbene Künstler Daniel Spoerri organisiert, der etwas zu Unrecht oft nur als Begründer der „Eat Art“ gilt. Tatsächlich ist Spoerri ein ganz wichtiger Vertreter der Objektkunst gewesen und entsprechend befanden sich in der genannten Ausstellung auch Werke von Künstlern wie Erwin Wurm und Joseph Beuys. Wie Joseph Beuys könnte man Setsuko Fukushima als Objektkünstlerin bezeichnen. Aber die Parallele führt nicht weit. Zwar stellen beide oft Objekte aus, gerne auch mal in Vitrinen, aber mit recht unterschiedlichen Zielen. Hat Beuys bekanntlich seine Kunst vornehmlich als ein Vehikel zur Erreichung eines im weiteren oder manchmal auch engeren Sinne politischen Ziels gesehen, so interessiert Setsuko Fukushima das subjektive Erleben, offene Entwicklungen und konstruierte Strukturen, die einen Anstoß darstellen, die eine Entwicklung anstoßen wollen, ohne daß die Richtung vorgegeben wäre.
Setsuko Fukushima schafft spröde, ja hermetisch in sich verschlossene Werke, es scheint, als ob diese Werke ihre Bedeutung nur widerwillig preisgeben wollten. Ihre Buchobjekte geben immer nur einen Ausschnitt preis, ihre Zeichnungen sind filigran, arbeiten mit bewusster Unschärfe. Nach etwas Auftrumpfendem, Plakativem wird man in ihrem Werk vergeblich suchen. Das Eindeutige liegt ihr nicht.
Das klingt reichlich abstrakt. Da ist der Begriff, den Setsuko Fukushima selbst für ihre Werke geprägt hat, schon konkreter: Alternative Botanik.
Das bezieht sich zunächst einmal auf die pflanzenartigen Objekte aus Papier und Keramik, die Setsuko Fukushima entwickelt hat. Eine Alternative zu der Natur, die uns umgibt? Eine neue, bessere Natur? Nun, warum immer vergleichen? Sagen wir, es handelt sich einfach um eine andere Botanik, eine Botanik, in der kein Chlorophyll auftaucht, deren Farbpalette auf Grau- und Brauntöne beschränkt ist. Lebendig im biologischen Sinne ist die alternative Botanik nicht und sie wird es nie werden. Dergleichen könnten Künstler nur schaffen, wenn sie wie die modernen Gentechniker lebendiges Material modifizieren würden. Das hat, soweit ich sehe, bislang noch kein Künstler versucht - und das ist wahrscheinlich auch gut so.
Nicht lebendig bezieht sich allerdings nur auf die Materialien, denn die Objekte können und sollen doch ihre ganz eigene Lebendigkeit entfalten. Tot sind sie nur, wenn sie nicht betrachtet werden.
Der gemeinsame Nenner von Buchobjekten, künstlichen Pflanzen und Zeichnungen ist das Wachstum, etwas, das ganz genuin zur Natur gehört und so auch zur alternativen Botanik. Was wächst, sind Geschichten. Nicht von selbst, lebendig werden die Objekte erst im Bewusstsein des Betrachters. Da kann und soll sich etwas entwickeln, da kann und soll etwas wachsen: Geschichten, die nicht vorgegeben sind, sondern Geschichten, die im Betrachter ein Eigenleben entfalten.
Derzeit arbeitet Setsuko Fukushima viel an Buchobjekten. Wenn Sie sich diese Buchobjekte ansehen, werden sie schnell bemerken, dass diese Bücher quer zur üblichen Buchproduktion stehen. In dieser Beziehung jedenfalls gleichen diese Buchobjekte den Videos von Achim Kirsch, die gleichfalls quer zur üblichen Filmproduktion stehen.
Achim Kirsch
Achim Kirsch ist jemand, der gerne lernt, dem es wichtig ist, immer wieder dazulernen. Die Liste seiner Universitätsabschlüsse - vom Studium der Germanistik und Philosophie in Köln über die Fachhochschule für Medien, die internationale Filmschule Köln bis zur Muthesius Kunsthochschule Kiel - diese Liste ist beeindruckend und zu lang, als dass ich sie hier vortragen könnte. Neben dem Lernen stand bei Achim Kirsch immer auch das Lehren. Auch hier ist die Liste seiner Lehraufträge an verschiedenen Institutionen und Hochschulen recht umfangreich.
Seit etwa 25 Jahren liegt der Schwerpunkt seiner Arbeit im Bereich des bewegten Bildes: Film, Animation, Videoinstallation. Videokunst hat es schwer. Sie ist schon deswegen anspruchsvoll, weil sie eine längere Verweildauer erfordert. Wie lange betrachtet der durchschnittliche Besucher ein Gemälde? Eine Minute? Oder doch nur 10 Sekunden? Die Bilder hätten es verdient, genauer betrachtet und bedacht zu werden. Aber so ist es nicht. Ein Blick, oder zwei oder drei … und schon kommt das nächste dran.
Videokunst braucht eine längere Phase der Aufmerksamkeit, Zeit, die sich, wenn man sich so in Ausstellungen umsieht, die wenigsten nehmen.
Im Grunde ist das merkwürdig. Die gleichen Leute, die im Museum nur zwei oder drei Blicke auf ein Video werfen, sitzen daheim stundenlang auf dem Sofa und schauen sich Dokumentationen oder Spielfilme an. Warum gönnen sie diese Aufmerksamkeit nicht dem Video im Museum? Nun, der Grund dürfte darin liegen, dass sämtliche Spielfilme und Dokumentationen so gestrickt werden, dass der Zuschauer gar nicht aufmerksam sein muß, weil es sich bei dem zu Sehenden doch nur um die Wiederkehr des Immergleichen handelt. Die Kunst aber, und selbstverständlich auch Videokunst, ist immer auch eine Herausforderung.
In einem Video von Achim Kirsch etwa blicken wir sozusagen in das Gehirn des Menschen, in den Teil, wo die Erinnerungen aufbewahrt werden. Tanzende Gestalten bewegen sich durch den Raum. Ein Einblick in eine dunkle, mystische Welt, vielleicht in etwas, das so aussieht wie das Schattenreich, das Reich der Toten, von dem die Antike zu berichten wusste.
Nicht geordnet, sondern so, wie die Erinnerungen halt sind, nämlich chaotisch: mal scheint dieses Bild auf, mal jenes, mal überlagern sich die Bilder und aus zwei sich derart überlagernden Erinnerungsbildern scheint plötzlich ein neues Bild auf. Und selbstverständlich weiß man nicht, ob diese Erinnerungsbilder, erst recht die, die durch Überlagerung von zwei Bildern entstanden sind, die Realität widerspiegeln, also die Realität, die längst vergangen und unwiederbringlich dahin ist.
Auf jeden Fall sind diese Videos eine Abkehr von den hergebrachten Sehgewohnheiten. Abkehr von den Sehgewohnheiten - das hört man heutzutage so oft, dass es schon abgedroschen klingt. Doch in den Arbeiten von Achim Kirsch wird das ganz konkret: Die hergebrachte und täglich sich wiederholende Sehgewohnheit von uns Menschen ist, dass wir im Sessel sitzen und auf einen Fernsehapparat schauen, auf der das Geschehen sich abspielt. So sind wir es seit nun über 100 Jahren gewöhnt. In einer von Achim Kirschs Videoinstallationen aber fahren Beamer auf Staubsauger-robotern im Raum herum. Man kann nicht mehr in eine Richtung blicken, sondern der ganze Raum wird erfüllt von Bildern. Ein Erlebnis, dass kein YouTube-Video bieten kann.
Und bei Achim Kirschs Arbeit „Parasite Me“ sind wir plötzlich mitten drin. Stoffpuppen oder aus Stoff gebildete Gestalten bewegen sich und dank der so genannten Augmented-Reality-Technik ist es möglich, dass der Betrachter plötzlich in seiner gewohnten Umgebung von völlig ungewohnten Stoffpuppen umgeben und belagert wird. Da sitzt der Betrachter nicht mehr, wie die Fernsehwerbung sagte, in der ersten Reihe, sondern er ist, wie eine andere Werbung sagte, mittendrin statt nur dabei. Mittendrin statt nur dabei, das war der Slogan, mit dem ein Sportsender dem Zuschauer etwas versprochen hat, was er gar nicht halten konnte. Die neue Technik, mit der Achim Kirsch sich auseinandergesetzt hat, löst dieses Versprechen ein. Tatsächlich zeichnet sich bei solchen Werken eine Zukunft des medialen Erlebens und Dabeiseins ab, von welcher wir erst die Anfänge erleben.
Ich denke, dass klar geworden ist, was die beiden hier ausstellenden Künstler auch verbindet: Beide verweigern sich der Erwartungshaltung des Publikums und verlassen gewohnte Bahnen, unterlaufen vorgegebene Strukturen und verweigern sich damit dem, was man Unterhaltungsindustrie genannt hat - zu der auch ein Großteil der Kunstproduktion gehört, auch wenn die Akteure des Kunstbetriebes das nicht gerne hören.
Das Marktgängige ist ja vor allem deswegen marktgängig, weil es den Erwartungen entspricht. Sich nicht den Erwartungen des Publikums zu unterwerfen, stellt allerdings, wie Mathematiker sagen würden, lediglich eine notwendige, aber keineswegs eine hinreichende Bedingung für gelungene Kunst dar. Oder, ganz unmathematisch ausgedrückt: Wenn ein Theaterstück das Publikum aus dem Saal vertreibt, ist das noch kein Garant dafür, dass es sich um eine Aufführung von hoher Qualität handelt.
Eines verlangt nicht marktgängige Kunst hoher Qualität allerdings immer: Geduldige Aufmerksamkeit. Lassen Sie sich darauf ein, …
Martin Haeusler
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