Die Insel des Heiligen Georg

Am Vorabend hatten wir lange im Internet nach einem schönen Hotel in der Gegend gesucht, schließlich den „St. Georges Inn“ auf der gleichnamigen Insel ausgeguckt. Das war nicht weit, Inseln sind oft was Besonderes, leider war das Hotel mit 135 – 150 USD ein bisschen teuer. Aber trotzdem. Bei völlig blauem Himmel sind wir wieder zurück über die Brücke gefahren, dann über die lange Brücke auf die Insel St. George. Wo die Brücke zu Ende war, lag das Hotel. Sah genauso aus wie im Internet, nur dass die Brücke und das daneben liegende kleine Einkaufszentrum nicht auf den Bildern drauf war. Die Insel ist schmal und ewig lang. Eine Hauptstraße führt von einer Seite zur anderen, rechts und links lauter Häuser in Sand und Dünen, meist Holzhäuser auf Stelzen, hölzerne Rentner- und Ferienhäusler-Träume, für amerikanische Verhältnisse ziemlich dicht an dicht, aber Beachfront oder Meeresblick sind alles. Ob keiner Angst hat, die Häuser würden beim nächsten Hurrikan wegfliegen? Ein paar größere Anwesen mit mehr Land drum herum liegen auch geschützt zwischen Pinien – aber die haben halt keinen Meeresblick, nur Blick auf die große, blaue Bucht mit den Booten der Angler. Hier angelt nämlich jeder, was soll man auch sonst machen, wenn man genug Meeresblick genossen hat. Das letzte dieser Häuser grenzt an den St. Georges State Park. Wir zahlen 6 $ Eintritt und fahren langsam zum Picknick-Center. Blauester Himmel, leichte Brise, nur 2 Autos außer uns da – wir wollen eine Wanderung machen. Ich überfliege das Merkblatt und wir entscheiden uns spontan für einen der beiden Wanderwege, der bis zur äußersten Spitze der Insel führt. Der Weg entpuppt sich als ziemlich langweilig. Nun gut, man könnte auch sagen, toll: Rechts Dünen und das Meer, links Dünen, ein paar Pinien, was Schilf und die Bucht, in der ein Segelboot langsam dahinplätschert. Oben alles blau. Ein paar kleine Vögel picken in den Dünen, draußen fischen die Pelikane im Sturzflug, so wie sie es halt gelernt haben. Möwen sind sowieso überall. Ab und zu braust auf der Bucht ein Anglerboot vorbei. Ab und zu krabbelt ein Krebs über unseren Wanderweg, komischerweise, Krabben in der Wüste? Aber zum Meer ist es ja nie weit. Vielleicht 100 bis 200 Meter rechts und links – und schon beginnt das Wasser. Meerseitig ein endloser Sandstrand mit feinstem fast weißem Sand, buchtseitig mehr so ein Schilf-Marschen-Gebiet. Das können wir uns vom Weg aus alles prima ansehen, leider darf man das empfindliche Dünen-Öko-System nicht betreten, man muss auf dem Weg bleiben. Schade, eine kleine Pause am Strand wäre nicht schlecht. Die Sonne steigt höher, die Uhr rückt vor. Das Pinienwäldchen aber, wo ich das Ende der Insel vermute, rückt nur sehr langsam näher. 2 ½ Meilen, hatte auf dem Blatt gestanden, das müsste in einer guten Stunde zu schaffen sein. Ein Auto kommt und fährt an uns vorbei. Was haben hier Autos zu suchen? Das ist doch ein „Hiking Trail“! Das müssen Ranger sein – gut, dass wir nicht verbotenerweise den Weg verlassen haben. Nach einer Stunde – das Pinienwäldchen ist immer noch recht weit weg – würden wir gerne ein Päuschen machen, irgendwo im Schatten, die „Sunshine-State“-Sonne brennt ganz schön, das Stirnband meiner Kappe schafft es kaum noch, den von der Glatze herunter laufenden Schweiß aufzusaugen. Ich beschließe, das ganze als so eine Art Kurz-Pilgerweg zu sehen. Latschen die Leute, die nach Santiago wollen, nicht auch stundenlang durch immer gleiche Landschaften, über sich die spanische sonne? Und wohin pilgern wir heute? Zum heiligen Georg, dem Drachentöter. Welcher Drache? Egal. Wir gehen weiter.

Umkehren, jetzt, ohne Pause? Lieber noch eine Viertelstunde, dann unter einer schattigen Pinie sitzen, Blick auf die blaue Bucht, die Füße im Wasser, Pinienduft, leichtes Meeresrauschen, Wasservögel, die immer näher kommen, weil sie hoffen, bei uns etwas Essbares zu ergattern. Gibt es bei uns aber nicht, schließlich wollten wir nur 2 -3 Stunden unterwegs sein und haben nach dem üppigen Hotel-Frühstück nur einen Apfel und eine kleine Flasche Wasser eingepackt.
Anderthalb Stunden sind wir gegangen, das Wäldchen ist in Reichweite. Zwei Autos kommen vorbei, diesmal definitiv keine Ranger, sondern fröhlich winkende ältere Männer aus Oregon, die Angeln griffbereit auf der Ladefläche des Pickups. Noch ein Auto kommt näher, etwas schneller, entsprechend größer ist die Staubfahne. Junge Leute mit Badesachen, „Sweet Home Alabama“ steht auf dem Nummernschild. Spricht dafür, dass dieser Weg doch kein reiner Wanderweg ist. Und es spricht einiges dafür, dass das verdammt Wäldchen zwar am Wasser liegt, aber nicht an unserem Weg, den wir ja nicht verlassen dürfen, um nicht irgendwelche brütenden Krabben oder sonstiges „Wildlife“ zu stören. Ich verlasse den Weg trotzdem, nur ein paar Meter, und klettere auf eine kleine Düne, um zu sehen, wo die Autos hinfahren. Kein Zweifel, die Staubwolke ist unübersehbar, der Weg führt nicht zum Wäldchen, sondern macht eine Rechtskurve, schlängelt sich zwischen Dünen hindurch. Immer weiter, die Staubfahnen sind schon ganz klein, aber die Autos fahren immer noch. Das sind drei schlechte Nachrichten auf einmal: Erstens hätten wir unser Ziel auch ganz bequem mit dem Auto erreichen können. Zweitens ist unser Ziel noch sehr weit entfernt. Drittens führt der einzige Weg nicht zu dem Wäldchen. Wir machen eine Pause im Stehen, trinken die Hälfte von unserem Wasser und machen uns auf den Rückweg. Die Brise kommt jetzt von hinten, mit Rückwind wandert es sich vielleicht etwas leichter, hatte ich gedacht. Aber leider hört der Wind fast ganz auf, es wird heiß, der Schweiß läuft jetzt überall herunter. Der Rückweg ist nicht aufregender als der Hinweg. Dünen, ein paar niedrige Büsche, ein paar Vögel, zwei Krabben. Keine Bank, kein Schattenplatz. Was den Rückweg von Hinweg unterscheidet, ist allerdings, dass sich allmählich Füße, Knie und andere Knochen bemerkbar machen und dass mehr Flüssigkeit in Form von Schweiß den Körper verlässt, als wir in Form von Trinkwasser zuführen können, denn unsere 0,5 Liter sind leer. Nun, in der halben Stunde, die wir noch wandern müssen, werden wir nicht verdursten, aber der Schweiß zieht leider die Mücken an, sehr hungrige Mücken, die offensichtlich in uns die Chance ihres Lebens sehen.
Das Besucherzentrum kommt in den Blick, auch unser Auto flimmert von Ferne in der Sonne. Zum Glück gibt es in den USA überall Getränke-Automaten, auch am Besucherzentrum, und eine Bank im Schatten findet sich auch. Die anderen Leute gehen an den Strand. Wir haben genug Sonne und fahren mit dem Auto in ein anderes Pinienwäldchen im State-Park, direkt an einem kleinen Süßwassersee. Pinienduft, Grillengezirpe, ein Motorboot tuckert über die Bucht. Jede Menge großer Schmetterlinge. Es geht doch nichts über eine Flasche gekühltes „Mountain Stew“, dazu die gestern übriggebliebene Hälfte eines gigantischen Roastbeef-Subs. Am Ufer des kleinen schilfbestandenen Sees vor uns, der völlig ruhig in der Sonne brütet, steht ein Schild: „Baden verboten! Alligatoren!“ Es lässt sich aber kein Krokodil blicken. Vielleicht hätte ich ein Stück von meinem Roastbeef ans Ufer legen sollen, aber Krokodile dürfen wahrscheinlich keine salzigen Sachen fressen, also esse ich lieber alles selbst auf. Bevor wir weiterfahren, lese ich mir die Beschreibung des State-Parks noch einmal genau durch. Hätte ich vorher machen sollen, denn ich habe die beiden Trails, die es dort gibt, verwechselt. Der Weg, auf dem wir unterwegs waren, war mit Genehmigung des Rangers auch mit Auto zu befahren und nicht 2 ½, sondern 5 Meilen lang.

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