Jazz unter Denkmalschutz

Was muss man in New Orleans unbedingt gemacht haben? Man muss mit dem Schaufelraddampfer "Natchez" auf dem Mississippi rumgeplätschert sein. Haben wir gemacht. Vormittags, zusammen mit drei Schulklassen in Schuluniformen, die aber nicht weiter gestört haben. War nicht so aufregend die Bootsfahrt, aber auch nicht so anstrengend wie Stadtbesichtigung zu Fuß. Man konnte bequem auf der Bank sitzen und ab und zu ein Foto machen. Werd ich noch nachreichen, die Fotos, aber, ums direkt zu sagen, sie sind nicht so aufregend, unsereins kennt ja den Rhein zwischen Bonn und Köln ganz gut, und so völlig anders schauen die Raffinerien und Hafenanlagen am schönen Rhein auch nicht aus, die Kölner Kirchen - alle - sind der New Orleanser Kathedrale allemal vorzuziehen. Zu Essen gab es nachher Burritos, ich bin von meinem nicht satt geworden, aber das ist auch nicht so wichtig, später gab es ja noch ein großes Stück Pizza. Da waren wir wieder im Franzosen-Viertel und haben wieder ab und zu den Bands Tür gelauscht, aber nicht so richtig, denn wir wollten zur Preservation Hall, weil das in Sachen Jazz, wie man so sagt, eine Institution ist. Nur 50 Leute werden für ein Konzert eingelassen, stand im Reiseführer, und man kann keine Karten vorbestellen, weil es keine Karten gibt. Der Eintritt ist umsonst, und wer zuerst kommt, wird eingelassen. 20 Minuten vor Einlass standen 43 Leute vor dem Eingang, ich habe sie gezählt, dann haben wir uns als Nr. 44 und 45 in die Schlange gestellt, hoffend, dass die Amerikaner disziplinierte Leute sind, die nicht 5 Minuten vor Schluss noch den einen oder anderen in die Schlange reinschmuggeln. Haben sie nicht, die vor uns waren sowieso keine Amerikaner, sondern Asiaten, der junge Mann trug übrigens Adidas Turnschuhe, die vorne neonorange und hinten neonblau waren, vorne und hinten aber gleich hochglänzend lackiert. Mit derlei Beobachtungen vergingen die 20 Minuten wie im Fluge. 3 Minuten vor dem Einlass kam eine junge Frau und erklärte den wWartenden, dass nur 50 Leute eingelassen würden. Das wussten wir schon. Außerdem betrage der Eintritt 12 Dollar, bitte Geld bereithalten. Na ja, dachte ich, Konzert jeden Abend von 8 PM bis 11 PM hatte auf dem Schild gestanden, dafür sind 12 Dollar nicht viel. Wir zählten die Scheine ab, die zum Ärger aller Menschen mit schlechten Augen alle gleich aussehen, und schon durften wir rein in das Gebäude. Ein uralter Kasten, bei manchen Details war ich mir nicht so sicher, ob das jetzt auf Alt gemacht war oder wirklich schon 36.500 Jazzkonzerte über sich ergehen lassen musste. Der Raum war klein, klar, wenn nur 50 Leute eingelassen werden, kann das ja auch kein Saal sein. Das Dumme war nur, dass wir als Nr. 44 und 45 zu denen gehörten, die offenbar traditionellerweise keinen Sitzplatz bekommen. Genug Platz für ein paar Stühle wäre in dem Raum gewesen, aber wer traut sich in den heutigen vergangenheitsverliebten Zeiten schon, beim 36.501 Konzert dort Stühle hinzustellen, wo 36.500 Mal keine Stühle gestanden haben? Undenkbar, also mussten wir stehen. Nein, mussten wir nicht, denn freundlicherweise legte das Personal ganz vorne, also 1 Meter vor den Stühlen der Musiker, so braune dünne Matten auf den Boden, etwa halb so dick und halb so bequem wie die Matten in den Turnhallen. Aber natürlich viel, viel älter.
Ich kann nicht gut auf dem Boden sitzen, müsste ich vielleicht für solche Gelegenheiten mal trainieren, aber da der Platz neben mir leer blieb, konnte ich mich wenigstens gut bewegen.
Eine Viertel Stunde lang passierte nichts, dann kam ein kleiner dicklicher Mann in Schwarz. Kein Musiker. Er erzählte nur, was man alles nicht tun dürfe, vor allem nicht mit Blitzlicht fotografieren. Dann die Musiker. 5 Musiker, davon kamen drei ziemlich schnell herein, zwei aber ziemlich langsam, weil sie schon so alt waren und der eine - wie sich herausstellte, der Posaunist - brauchte schon eine spezielle Gehhilfe, um bis zu seinem stuhl zu kommen, auf den er sich dann plumpsen ließ. Der Stuhl war das gewöhnt und ist nicht zusammengekracht, glücklicherweise. Schon ging es los mit dem ersten Lied, irgendwas typisches dixilandmäßiges, das ich nicht kannte. Nicht so toll, aber sie mussten sich ja noch einspielen. Der zweite Alte, der abwechselnd Oboe und Saxophon spielte, griff schon mal daneben, spielte aber mit viel Gefühl. Direkt vor mir, ich hätte die Hand in sein Saxophon stecken können. Mit der anderen Hand hätte ich die Pianistin, eine relativ junge Asiatin, am Fuß kitzeln können, mit dem sie immer so schnell im Takt gewippt hat, aber das habe ich natürlich auch nicht gemacht. Der Dienstälteste, der Posaunist, stellte die Band vor. Sie hieß irgendwas mit Playboys. So hat sie sicher schon geheißen, bevor eine Frau am Klavier gesessen hat, aber hier sind wir halt im Bereich des Denkmalschutzes. Während ich noch solchen Gedanken nachhing, kam schon das zweite Stück, ein Marsch. Gut, gehört zu den Wurzeln des Jazz, mag ich aber trotzdem nicht so sehr. Alle legten sich mächtig ins Zeug und standen bei ihrem Solo auch auf, die alten erstaunlich geschmeidig, die Pianistin nicht, die spielte immer im Sitzen, der Kontrabaßmensch, den ich aus meiner Froschperspektive genauso wenig sehen konnte wie den Schlagzeuger, der hat wohl die ganze Zeit gestanden. Als drittes Stück gab es einen Gospel, der Bandleader sang mit schwacher, aber ergreifender Stimme von Jesus, die Reihenfolge der Soli blieb gleich, am Besten trompetete diesmal der Trompeter.

Der Bandleader erklärte die historischen Zusammenhänge, dabei kratzte er sich mit der Posaune am linken Fuß. Es folgte der St. Louis Blues, ein feines Stück, und allmählich kamen alle ein wenig in Fahrt. Der Posaunist musste allerdings aufpassen, denn wenn er seine Posaune ganz ausgefahren hat, dann musste er darauf achten, dass er nicht eine der beiden vor ihm auf dem Boden sitzenden Frauen getroffen hat. Danach legten alle ihre Instrumente bei Seite, denn jetzt kam die Pause. Alle standen auf - ich auch, weil ich froh war, mich was bewegen zu können - und gingen zu dem Stand, wo man T-Shirts, CDs und all solch einen Kram kaufen konnte. Ich wollte nicht kaufen, ich trauerte noch etwas den 12 Dollar hinterher, und wollte mich an den Ausgang stellen. Die Frau an der Kasse gab mir zu verstehen, dass das Konzert vorbei sei und wünschte mir noch einen wunderschönen Abend. Draußen warteten schon die nächsten 50 Leute, die Band musste also an diesem warm-schwülen Abend noch einmal die gleichen vier Lieder spielen. Wir gingen statt dessen noch was unschlüssig im Viertel herum. Das Stück Pizza, da ich dann in einer großen leeren Bude erstanden habe, hat auch nicht geschmeckt.

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