Die Tollen Tage - ein Rückblick


Karneval, das sagten früher, als sie sich so etwas zu sagen noch getraut haben, die Pastöre, Karneval ist eine Zeit der Sünde. Womit sie den Nagel insofern auf seinen sprichwörtlichen Kopf gehauen haben, als der Karneval ja die Nicht-Normal-Zeit per Definitionem ist. Oder, anders gesagt: Ohne ein Über-die-Stränge-Schlagen keine Tollen Tage.
Jenseits der Stränge lockt die Sünde. So einfach, so klar.
Ich habe mich während der Karnevalstage dem Jenseits der Stränge verweigert und der Arbeit gewidmet. Der Handarbeit, der Erzeugung des Schweißes des Angesichts und des Schweißes anderer Körperregionen auch. Anbau renoviert. Arbeit, harte, sinnvolle, körperliche Arbeit lässt keinen Raum für Sprünge über Stränge. Das haben die Pastoren gedacht, früher, als sie noch laut von der Kanzel herunter gedacht haben, und deshalb verkündet, derartige Arbeit sei dem Karneval und seinem Treiben vorzuziehen.
Das war früher. Heute ist alles anders. Heute lockt die Sünde allüberall, vor allem die Sünde contra naturam, die Sünde gegen die Natur. Auch beim Akt der Renovierung lockt sie.


Mindestens drei Mal - jetzt heißt es, die Wahrheit zu bekennen - Lebensräume von Tieren zerstört: Die Rückzugsgebiete mehrerer Spinnenarten mit Rotband zugekleistert, so dass die nunmehr heimatlos gewordenen herumirrten, vergeblich in der nunmehr glatten Wand ihren vertrauten Unterschlupf suchend. Auch die Kellerasseln - nicht die normale Art, Porcellio scaber, die sich wie alle Exemplare der Gattung Oniscidea (Landasseln) vom Detritus ihrer Lebensräume ernähren und  damit zu den Destruenten gehören, also zu den Entsorgern, den Nützlingen, sondern eine besondere Art, die unter den in Deutschland lebenden 50 Arten mir zu identifizieren nicht geglückt ist. Vielleicht handelte es sich um eine seltene Landassel? Hätte ich sie nicht der Assel-Werkstatt der Universität Münster zuschicken müssen? 
Die Asseln jedenfalls werden niemals mehr unter dem dekorativen Schieferstein wohnen können, denn der Schieferstein ist rausgeflogen aus der Wohnung.


Der Ohrenpitscher hätte sein Loch in der Wand noch verlassen. Hat er aber nicht. Jetzt muss er sich durch 1 cm Rotband fressen oder in seinem Loch bleiben. Ewig. Dabei sind auch Ohrenpitscher, die anderswo Ohrwürmer, Ohrenhöhler, Ohrwuzler, Ohrschlitzer, Ohrenschlüpfer, Ohrenschlepper, Ohrengrübler oder Ohrenschleifer  genannt werden, durchaus nützliche Tiere. Sie heißen ja auch nicht so, weil sie, wie ich in meiner Naivität bisher angenommen habe, gerne in die Ohren der Menschen kriechen, sondern weil man sie früher gefangen, pulverisiert und zu einem Mittel gegen Ohrenschmerzen und Taubheit verarbeitet hat. Wer letzteres nicht glaubt, kann das in folgendem Aufsatz nachlesen, den ein fleißiger deutscher Phililoge geschrieben hat: Gundolf Keil: Die Bekämpfung des Ohrwurms nach Anweisungen spätmittelalterlicher und frühneuzeitlicher deutscher Arzneibücher. In: Zeitschrift für deutsche Philologie. 79, 1960, S. 176–200. Aber das Pulverisiert-Werden entspricht wahrscheinlich auch nicht dem Lebensentwurf eines Ohrenpitschers und ist deshalb vom heutigen Tierschutzgedanken her durchaus abzulehnen.


Ein weiteres Tier, eine seltsame, flache Wanzenart, habe ich zarter behandelt. Ich habe es nicht eingegipst, sondern - ein Pluspunkt für mich - gefangen und aus dem Fenster geworfen. Ein ebenerdiges Fenster, kein Sturz aus großer Höhe, nein, völlig ungefährlich, sozusagen wanzenfreundlich, zumal die Viecher fliegen können. Es handelte sich auch nicht um eine Bettwanze (Cimex lectularius), sondern eine Grüne Stinkwanze (Palomena prasina) , die auch als Gemeine Stinkwanze oder Gemeiner Grünling bezeichnet wird, ein recht harmloses Tierchen, das  bei manchen Menschen Allergien auslösen kann. Hier kann man sich das Tierchen ansehen.
Allerdings - da ich mir nun einmal vorgenommen habe, alle Verfehlungen contra naturam zu gestehen, muss ich es erwähnen - draußen empfing mein kleines Stinkwänzlein ein kräftiger Hagelschauer.



Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Fußleisten-Entsorgung

Wolfgang Thomas