Vergessener grüner Alter

Ich habe mit einiger Mühe die 330 Bücher, die ich im Moment zum Verkauf anbiete, durchgesehen, um herauszufinden, ob nicht Bücher dabei sind, die schön längst verkauft sind, aber immer noch in der Liste stehen, weil ich vergessen habe, sie auszutragen.
Da war dann plötzlich ein buch in der Liste: "Christian Wagner. Blühender Kirschbaum. 1940" - Wagner, Kirschbaum, 1940? Nie gehört, so ein Buch soll ich haben? Tatsächlich habe ich es auch nicht gefunden. Bei der großen Überprüfung fanden sich auch 25 Titel, die im Regal der zu verkaufenden Bücher stehen, die ich aber weder bei Booklooker noch bei Amazon anbiete. Kein Wunder, dass die niemand kauft. Also habe ich diese Bücher auch noch eingegeben. Dass ich nicht mehr so ganz konzentriert war bei der ganzen Büchersortiererei, sieht man daran, dass ich das Buch von Christian Wagner nicht erkannt habe, sondern noch einmal bei Booklooker eingegeben und mich gewundert habe, dass noch jemand genau das gleiche Exemplar anbietet. Das war natürlich ich selbst.
Abends bei letzten Glas des zu Weihnachten geschenkten Kräuterlikörs habe ich dann in das Buch hinein gesehen. Ein kleines Bändchen mit Gedichten, habe ein paar gelesen, dann alle, dann das Nachwort von Albrecht Goes.


Aha, habe ich gedacht, da hat sich also der heute fast völlig vergessene schwäbische Dichter und Pfarrer Albrecht Goes für einen noch vergesseneren Landsmann eingesetzt. Goes kenne ich eigentlich nur deswegen, weil er gleichzeitig mit Rolf-Dieter Brinkmann  ein Stipendium in Rom hatte und Brinkmann sich in seinem "Rom, Blicke" fürchterlich über den viel älteren Mitstipendiaten beschwert. Aber den Namen Christian Wagner hatte ich noch nie gehört und war dann überrascht, dass er einen längeren Artikel in der Wikipedia hat.
Hesse hat ihn gekannt und sich für ihn eingesetzt, Karl Kraus, Kurt Tucholsky und zuletzt Peter Handke, ja, es gibt sogar eine Christian-Wagner-Gesellschaft. Eine Bildungslücke, zweifellos.
Dabei könnte er in jedem Lesebuch stehen, gerade heutzutage. Denn die Gedichte haben im Grunde nur ein Thema: Die Natur. Ein höchst sensibler Naturbeobachter war dieser Wagner, jemand, für den jedes Hälmchen ein Lebewesen war. Ein Kleinbauer, der es nicht übers Herz gebracht hat, seine Kühe zum Metzger zu bringen, obwohl er das Geld dringend gebraucht hätte. Warum stehen seine Gedichte in keinem Lesebuch, auch heutzutage nicht, wo alles von Natur spricht, wo mehr oder weniger Grüne in allen Gremien sitzen? Böse Zungen sagen, den Grünen sei die Natur im Grunde herzlich egal. Könnte was dran sein.

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