Kopfüber in drei Welten - Rede zur Eröffnung der Ausstellung März 2025

Diese Ausstellung lädt uns ein, kopfüber in drei Welten zu springen. Oder zumindest Bilder zu betrachten, die Künstler geschaffen haben, die kopfüber in eine andere Welt gesprungen sind. 

Nun ist so ein Sprung in eine andere Welt keineswegs harmlos, vor allem, wenn man kopfüber springt. Falls sich der Vorgang nicht unter Wasser abspielt, dann schlägt die Schwerkraft gnadenlos zu. Für den, der abgesprungen ist, gibt es kein zurück. Man kann sich da nicht vorsichtig annähern und dann, wenn es ungemütlich wird, wieder zurückweichen. Kopfüber in eine andere Welt, das ist eine abenteuerlich Sache, vielleicht abenteuerlicher, als manchem lieb ist. Nicht jeder schließlich bleibt so ruhig wie die kleine Alice aus „Alice im Wunderland“, als sie dem weißen Kaninchen folgt und fällt und fällt und fällt. Alice macht sich beim Fallen allerlei Gedanken, zeigt keinerlei Anzeichen von Angst oder Panik, was man nur mit ihrer Jugend und Naivität erklären kann. 

Wenn wir den Sprung in andere Welten wagen, zu dem uns die drei Künstler einladen, dann ist es sicherlich nicht schlecht, wenn wir uns beim Fallen in fremdartige Realitäten nicht ängstlich verschließen, sondern uns etwas von dem naiven Staunen der kleinen Alice bewahren. 

Schon aufgrund des Titels „Kopfüber in drei Welten“ dürfte jedenfalls klar sein, dass allen drei Künstlern eins gemeinsam ist: Sie machen keine Bilder, die man in den Flur hängt, damit dort etwas Farbe die weiße Wand auflockert. Auch als Dekoelement im Foyer einer Versicherungszentale sind sie schlecht geeignet. Nein, bei den Welten, in die wir Betrachter kopfüber springen sollen, handelt es sich nicht um idyllisch-harmlose Variationen der uns umgebenden Alltagswelt. 

Wolfgang Behrendt 

Fangen wir an mit Wolfgang Behrend. Als ich erfahren habe, dass er zu den drei Künstlern, die hier ausstellen, gehört, habe ich, wie ich das immer mache, erst einmal das Internet durchsucht. Aber: Nichts zu finden. Keine Homepage, nicht bei Facebook, nicht bei Instagram, keine Erwähnung in einem der Zeitungsarchive, die Google durchsucht. Dass ich daraufhin gedacht habe, ich hätte mir sicherlich den Namen falsch notiert, sagt etwas über mich und die Erwartungen, die nicht nur ich heutzutage habe, aus: Wer im Internet nicht präsent ist, den gibt es nicht. Aber ich hatte mir den Namen nicht falsch notiert und es lag auch kein Tippfehler vor. Wolfgang Behrendt lebt, wie man so schön sagt, zurückgezogen in einem Dorf in der Eifel und lässt die Welt der Selfies links liegen. 

Studiert hat er in den 70er Jahren an der Kölner Werkkunstschule. Anschließend ist er freiberuflich als Illustrator und Cartoonist tätig gewesen. An Illustrationen erinnern die Arbeiten, die Wolfgang Behrend hier ausstellt, schon wegen ihrer Größe. Denn sie sind kaum einmal größer als eine Buchseite, manche nicht einmal das. Wer seine Lesebrille daheim vergessen hat, dürfte ein Problem bekommen, denn trotz der kleinen Formate sind die Bilder voller Details. 

Wolfgang Behrendt selbst sagt über diese Arbeiten: „Vor ein paar Jahren kam ich zufällig an 24 Bände „Meyers Konversations-Lexikon" von 1902. Fasziniert und inspiriert von der Fülle und Qualität der darin enthaltenen Illustrationen, begann ich daraus Collagen anzufertigen. Entgegen meiner bisherigen Arbeitsweise (Idee, Entwurf, Ausführung) stellte ich zu meiner großen Freude und Überraschung fest, dass sich die Bilder völlig frei und fast wie von selbst ergaben. Rein intuitiv und ohne Plan. Eine für mich völlig neue und schöne Erfahrung.“ 

Doch Vorsicht, dass das Erarbeiten von Collagen für den Künstler eine „schöne Erfahrung“ gewesen ist, impliziert nicht, dass es sich um „schöne“ Bilder handelt. Zwar prägen eine der Welten, die Wolfgang Behrendt aus dem ihm vorliegenden Bildmaterial erstellt hat, bunte Blumen. Aber wieso tauchen da Fische auf? Und die Augen! Je länger man die Collage betrachtet, desto mehr Augen sehen einen an. 

Auf dem Bild, in dessen Mittelpunkt ein Schmetterling steht, das gleiche: Die Tiere, ja sogar einige Pflanzen haben Augen, Augen, die manchmal gar nicht zu dem jeweiligen Tier passen oder an der falschen Stelle sind. Möchte ich, nachdem ich kopfüber in diesen Welten gelandet bin, einen Spaziergang durch diese Landschaften mit fliegenden Fischen, großem Gewürm und Tieren, die wie Mutanten anmuten, machen? Mir scheint, man muss schon die erfrischende Naivität der kleinen Alice haben, um diese Umgebungen mit einem heiteren Staunen erforschen zu können.

Dass es in den Collagen von Wolfgang Behrendt eine ganze Reihe von Anspielungen auf die Kunstgeschichte gibt, sei jetzt nur kurz erwähnt. Da will ich Ihnen, wenn Sie sich in den Welten des Künstlers umsehen, die Entdeckerfreude nicht nehmen. 

Bernd Bohmeier 

Bernd Bohmeiers Bilder habe ich vor einigen Jahren in der Eifel kennen gelernt, in einer Ausstellung in Gemünd, im Kunstform Eifel, ein Ort, der nicht nur wegen der frischen Eifelluft immer einen Ausflug wert ist, sondern auch wegen der guten Ausstellung im Kunstforum Eifel. 

Bernd Bohmeier kennt den Unterscheid zwischen Stadtluft und Eifelluft, denn er lebt seit vielen Jahren in Köln und in einem Dorf in der Vulkan-Eifel. Er hat ein klassisches geisteswissenschaftliches Studium hinter sich: Theaterwissenschaften, Germanistik, Philosophie und hat lange als Lektor in der Abteilung Fernsehspiel des WDR gearbeitet. 

Sein Schwerpunkt aber sind immer die freien Arbeiten gewesen, zunächst als Autor. Für seine zahlreichen schriftstellerischen Werke - viel Lyrik, aber auch Prosa, - hat er verschiedene Preise bekommen. Er hat eigene lyrische Werke auch selbst gelesen, andere Arbeiten sind vertont worden: Sperrige Lieder mit improvisierter Klaviermusik, nichts Eingängiges, sowohl die Musik als auch die Texte verweigern sich dem Wohlklang. 

Schon Ende der 60er Jahre kommt zu der Produktion von Texten ein zweites Standbein, nämlich die Malerei. Das waren andere, wildere Zeiten, in denen Bernd Bohmeier sehr explizite erotische Bilder gemalt hat. Und zusammen mit einem der sogenannten Jungen Wilden, nämlich Theo Lambertin, hat er den renommierten August-Macke-Preis für Malerei bekommen. 

 Auch bei den Bildern, die er hier ausstellt, handelt es sich nicht um leichte Kost. Glatte und harmlose Bilder, die man sich zwecks Dekoration übers Sofa hängt, sind nicht seine Sache. Immer spielt er mit verschiedenen Ebenen, die jeweils mehr oder weniger durchscheinend sind und sich überlagern. Seine Bilder setzen sich - und jetzt zitiere ich wörtlich aus einer Laudatio für Bernd Bohmeier, dessen Autor oder Autorin ich nicht gefunden habe und in der seine Arbeiten sehr treffend charakterisiert werden: Bernd Bohemiens Bilder, heißt es da, „setzen sich mit dem menschlichen Körper in Extremsituationen, in Momenten von Gewalt, im Zustand der Versehrtheit auseinander. Sie befragen den Realitätsanspruch des Bild-Mediums, die Erwartungshaltung der Rezipienten und spielen mit den Mehrdeutigkeiten des Blicks: der Abwehr, der Angst oder auch der Lust des Erschreckens. Handelt es sich hier um reine Fiktion des Malers, oder um eine letztlich alltägliche Dimension menschlicher Existenz?“ 

Eine Herausforderung für den Betrachter, in der Tat. Aber es lohnt sich. 


Wolfgang Sauer 

Wolfgang Sauer habe ich vor einigen Jahren in Kerpen bei einer Veranstaltung kennen gelernt, die sich „Kunst und Wein“ nennt. Eine interessante Kombination, denn wenn die ausgestellte Kunst langweilig ist, dann kann man bei der Weinprobe umso kräftiger zuschlagen. Wolfgang Sauers Bilder aber sind nie langweilig, immer gibt es einiges zu sehen und zu entdecken. 

Er liebt das eher kleine Format und detailreiche Zeichnungen, arbeitet viel mit Buntstiften. Das akribische, realistische Zeichnen hat er an der Fachhochschule Köln in der Klasse von Professor Gottfried Wiegand gelernt. Er ist diesem Stil treu geblieben, auch bei den Tierbildern, die er in dieser Ausstellung zeigt. 

 In der Werbebranche und bei denen, die im Internet Aufmerksamkeit generieren wollen, spricht man mit einem sarkastischen Unterton von „Cat Content“. „Cat Content“, so heißt es dort, kommt immer gut an. Aber bei Wolfgang Sauer wird man vergeblich nach süßen Kätzchen oder Häschen suchen, die einen aus großen Augen anblicken. Nehmen wir seine Hasenbilder. Der Hase ist ein uraltes Symbol für Gier und Wollust und - damit zusammen hängend - Fruchtbarkeit. Wenn die Osterhasensaison beginnt, werden wir das wieder überall lesen können. Das allerdings interessiert Wolfgang Sauer nicht. Es gibt nämlich noch einen zweiten Strang in der Symbolgeschichte des Hasen: Das gejagte Tier, das aufgescheucht und gehetzt wird, bis es dann endlich zur Strecke gebracht werden kann - im wortwörtlichen Sinne, denn in der Jägersprache ist die Strecke die Jagdbeute, mit der sich Jäger gerne stolz fotografieren lassen, bevor die Hasen dann kopfüber aufgehängt im Fachhandel landen. 

 Daneben lädt Wolfgang Sauer uns in dieser Ausstellung zu einem Sprung in eine merkwürdige, skurrile Welt ein, in der auch Tiere eine große Rolle spielen und in der seltsame Menschen seltsamen Dinge tun. Gestalten, die alles andere als alltäglich sind, die es so, wie sie gezeichnet sind, zwar tatsächlich geben könnte, und die doch in einer anderen Welt agieren, einer von der uns umgebenden Alltagswelt entrückten Welt, in welcher es merkwürdig still zu sein scheint und die Menschen in Zeitlupe agieren. Es könnte sich um Illustrationen zu skurrilen Geschichten handeln, von Geschichten, die sich jeder Betrachter selbst ausdenken muss. Der altertümlich gekleidete Pilger beispielsweise, der in seinem Koffer sitzt, ringsum Einöde, pilgert der überhaupt noch? Oder hat er es desillusioniert längst aufgegeben und kommt nicht mehr zurück ins sein Leben vor Beginn seiner Pilgerfahrt? Kaum zu glauben auch, dass der schwarze Geier, der auf dem Kofferdeckel sitzt, mitpilgert. Wartet der Geier vielleicht geduldig und wohlgemut auf seine Beute? 

 Es gibt jedenfalls auf den Bilder, die die drei Künstler für uns ausgesucht haben, viel zu entdecken, wenn man sich darauf einläßt, kopfüber in die drei Welten zu springen.

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