Sehen – träumen – fabulieren

Sehen – träumen – fabulieren


Heißt diese Ausstellung – ein schöner Titel, ein weiträumiger Titel, der, wie ich finde, gut zu den Werken passt, die Sie hier in den Räumen sehen können. 

Sehen – träumen – fabulieren: Der Titel ist allerdings so weiträumig, dass ich mich gefragt habe, was die hier ausgestellten Werke eigentlich verbindet. Wenn sie sich schon etwas umgesehen haben, dann lässt es sich doch nicht übersehen, dass Christine Klein-Badali, Sven Torjuul und Trautlinde Minuzzi recht unterschiedlich Motive, unterschiedliche Materialien und Bildformate bevorzugen, ganz unterschiedliche Stimmungen wiedergeben und erzeugen.

Was alle drei verbindet, scheint eher banal zu sein. Alle drei nämlich beschäftigen sich mit Malerei, und zwar mit gegenständlicher Malerei. Das ist im heutige Kunstbetrieb schon fast eine Ausnahme. In der aktuellen Sonderausstellung im Max-Ernst-Museum in Brühl, die sich mit surrealen Welten beschäftigt, findet sich kein einziges Werk, für das einer der Künstler Farbe und Pinsel gebraucht hätte. Gegenständliche Malerei findet sich dort, wo sich die treffen, die sich selbst als die Avantgarde der Kunst sehen, nur selten. Und das ist nicht etwa ein neuer Trend. Ich erinnere mich, dass ich vor ziemlich genau 50 Jahren eine der ersten Kölner Kunstmessen besucht habe. Ach, was war das aufregend: Joseph Beuys stellt seinen VW-Bus mit den Schlitten aus, überall Op-Art (die schon fast vergessen ist), Pop-Art von Warhol bis Rauschenberg natürlich, Künstler des Wiener Aktionismus sprangen nackt auf der Bühne herum, verspritzten Blut oder rote Farbe und taten so, als ob sie ein Huhn schlachten würden. Vielleicht haben sie es auch wirklich auf der Bühne geschlachtet, ich weiß es nicht mehr.

Das war alles ungeheuer aufregend, ungeheuer neu. Die sog. klassische Moderne, die von der gegenständlichen Malerei geprägt war – wie verstaubt und überholt wirkte das, was da an der Wand hing. Das kannten wir doch längst. Picasso, Max Ernst, Oskar Kokoschka, um nur ein paar zu nennen, die damals noch gelebt haben, das waren doch Langeweiler, die hatten wir in der Schule durchgenommen – übrigens bei dem Willi Frommberger, den einige von Ihnen kennen werden, da er auch in diesen Räumen mehrmals ausgestellt hat.


I.

Die Helden der damaligen Kunstmärkte traten bald das an, was man den Marsch durch die Institutionen genannt hat. Und als sich Christine Klein-Badali nach einem Lehrer an der Düsseldorfer Kunstakademie umgesehen hat, da gab es dort nicht mehr viele Professoren, die die Fahne der gegenständlichen Malerei hochgehalten haben. Einer davon war Dieter Krieg, der übrigens im Erftkreis gewohnt und gearbeitet hat, und zwar in Quadrat-Ichendorf. In der Zeit, in der Christine Klein-Badali seine Meisterschülerin gewesen ist, habe ich mal eine Ausstellung von Dieter Krieg gesehen: Riesige Bilder mit riesigen rohen Fleischstücken – nichts für Vegetarier.

Die Arbeiten, die Christine Klein-Badali hier zeigt, sind auch immer wieder verstörend, auch dann, wenn sie eher traditionelle Sujets wie Blumen oder Stillleben malt. Oft tauchen Symbole auf, die man aus der Kunstgeschichte kennt: eine Schlange, ein Falke, ein Handschuh, ein Totenschädel, ein Kelch, eine Lilie oder ein Fisch. Bekannte Symbole, gewiss, aber wer ein Symbollexikon zur Hand nimmt, um das Bild so zu entschlüsseln, der wird enttäuscht werden. Die Bedeutung bleibt immer in der Schwebe, so, wie auch die Gestalten, die auf vielen Bildern auftauchen, schweben. Schweben? Oder werden sie nicht weggerissen? Aber wohin? Oder ist das Fortgerissenwerden, das Getriebenwerden, ein Dauerzustand, eine Art Höllenstrafe - oder eine Erdenstrafe?

In der nichtrealen Bild-Welt von Christine Klein-Badali ist es schwer, sozusagen den archimedischen Punkt zu finden, von dem aus man das Bild „knacken“ könnte. Und das, so scheint mir, macht den Reiz ihrer Bildfindungen aus.



II.

Trautlinde Minuzzi, deren Arbeiten in dem Raum hinter dem Flur hängen, hat nicht an der Düsseldorfer Kunstakademie studiert, sondern in Köln, an der Werkkunstschule, wie man damals noch sagte. Köln in den 80er Jahren: Das war die Hochburg der „Neuen Wilden“, von Künstlern, die tatsächlich wieder mit Farbe und Pinsel gearbeitet haben. Jung und wild waren sie sicherlich, der Farbauftrag entsprechend expressiv. Sie haben also gemalt, allerdings: Wenn Menschen oder Gegenstände auf ihren Bildern auftauchten, dann entsprachen sie nicht gerade dem, was man sich unter gegenständlicher Malerei vorstellt. Das war den Neuen Wilden allerdings völlig egal. Mehr noch, der Verzicht auf malerisches Handwerk war Programm: Kunst kommt nicht von Können, sondern von Kreativität, war die Devise. 

In dem Umfeld war Professor Dieter Kraemer an der Werkkunstschule Köln ein Außenseiter, ein handwerklich sorgfältig arbeitender Maler, dessen Werke oftmals an die neue Sachlichkeit der 30er Jahre erinnern. Trautlinde Minuzzi hat sich gegen neue wilde Malerei und für die Malklasse von Dieter Kraemer entschieden, wurde seine Meisterschülerin. 

In der Cafeteria können Sie einige Skulpturen von Trautlinde Minuzzi sehen, aber ihr Schwerpunkt ist immer die gegenständliche Malerei geblieben. Kleine Formate, Miniaturen, oft nur postkartengroß. Und immer wieder überraschend: ihre Bildideen. 

Rosige nackte Gestalten, die meisten geschlechtslos und alle von einer üppigen Körperfülle, um nicht zu sagen: Alle sind viel zu dick. Das scheint ihnen aber nichts auszumachen. In ihrer Welt scheint Body-Shaming unbekannt zu sein. Im Gegenteil: Oft strahlen die Figuren eine gewisse Heiterkeit aus, ohne dass der Betrachter einen Grund für diese heitere Gelassenheit fände. 

Die Dicken, die Trautlinde Minuzzi immer wieder malt, leben in einer Welt, die der unsrigen gleicht. Dort gibt es auch schon mal Geister und Engel aber auch Putzlappen und Hula-Hoop-Reifen, es gibt Wald, Strand und Meer, einen Ball, Blumen und Büsche, Schwäne, Papierflieger, eine Schaukel und ein Fallschirm. Und die Gestalten scheinen sich nicht als Fremde zu fühlen in ihrem Land, das unserer Umgebung gleicht. Schaut man sich die Bilder nur lange genug an, dann kommt man sich als Betrachter selbst wie ein Fremder vor, als Stranger in a Strange Land, um den Titel eines Romans von Robert A. Heinlein zu zitieren, in dem der Held und seine Anhänger übrigens auch immer nackt herumlaufen.


III.


Auf den Bilder von Sven Torjuul, die im hinteren Raum und im Flur hängen, sind nur selten Menschen zu sehen. Den Schwerpunkt seiner Aquarelle bilden Landschaft und Natur. Auf eine Ausnahme werde ich noch kurz zu sprechen kommen.

Wenn gegenständliche Malerei seit einem halben Jahrhundert in den Hintergrund gedrängt worden ist, dann steht das Aquarell sozusagen im Hintergrund des Hintergrundes. Emil Nolde und Paul Klee haben Aquarelle gemalt, lang ist es her, aber ob es heute in einer der Kunstakademien einen Lehrstuhl für Aquarellmalerei gibt? 

Sven Torjuul hat keine Kunstakademie besucht, er hat erst einmal sozusagen etwas Solides studiert, nämlich Theologie und Religionswissenschaften. Er arbeitet seit Jahren als Pfarrer für die evangelische Gemeinde in Frechen. Die Kunst bildet sein zweites Standbein. Früher schwerpunktmäßig die Musik, aber dann – vor allem aufgrund einer Krankheit – zunehmend die Aquarellmalerei, bekanntlich eine schwierige Technik, die Spontanität und einen sicheren Pinselstrich erfordert. 

Wie sehr die Aquarellmalerei aus dem akademischen Kunstbetrieb verdrängt worden ist, sieht man auch daran, dass Sven Torjuuls Lehrer, nämlich Andreas Mattern, selbst keine Akademie besucht hat und außerhalb der akademischen Kunstwelt lehrt. Matterns Aquarelltechnik und auch die Farbigkeit seiner Bilder spiegeln den deutschen Expressionismus, und auch was die Bildfindung angeht, ist Mattern ein Außenseiter. Die sich zur Avantgarde zählen, rümpfen vielleicht die Nase. Zu Unrecht, wie mir scheint: Als ob das Stehenbleiben und geduldige Weiterentwickeln einer vorgefundenen Technik und Tradition nicht seinen eigenen Reiz und seinen eigenen Wert hätte. 

Sven Torjuuls Aquarelle sind oft an der Ostsee entstanden, in der Gegend von Zingst, an die er zahlreiche und offenbar schöne Kindheitserinnerungen hat, manche auch auf Reisen, wie man unschwer sieht. 

Nicht auf den ersten Blick erschließen sich Bilder, die im Flur hängen, die schon erwähnten Aquarelle, auf denen auch Menschen zu sehen sind. Auch ihnen liegt eine Reiseerfahrung zugrunde, und zwar nach Kuba. Was Sven Torjuul – wohl auch in seiner Eigenschaft als Religionswissenschaftler - dort fasziniert hat, sind nicht die sattsam bekannten uralten Straßenkreuzer, sondern Altäre und Kulte. Die Kulte der Santeria. Santeria, darin steckt das spanische Wort „Santo“, el Santo, der Heilige. Es handelt sich um Stätten einer ganz besonderen Heiligenverehrung, die in den letzten Jahren zunehmend beliebt geworden ist, obwohl (oder gerade weil?) Fidel Castros kommunistische Partei die Kulte unterdrückt hat und obwohl die katholische Kirche diese Heiligenverehrung bestenfalls duldet. Denn die Heiligen, die man dort an Altären und in ganz speziellen, teils geheimen Kulthandlungen verehrt, sind im Vatikan durchaus unbekannt, erinnern allenfalls vage an den einen oder anderen kanonischen Heiligen.

Synkretismus nennt man dergleichen, was nichts anderes heißt, als dass da aus verschiedenen Quellen, nämlich den Kulten der kubanischen Ureinwohner, Afroamerikanischen Traditionen und dem Katholizismus eine neue Mischform entstanden ist, eine Form, die Westeuropäern manchmal reichlich bizarr erscheint. Ich selbst bin einmal in Guatemala auf eine Kultstätte des Heiligen Maximón gestoßen, der auch als Heiliger Simon verehrt wird, was dann eher Vatikan-kompatibel ist. Bizarr: Der Heilige trägt immer Anzüge aus gutem Tuch, auch hochwertige Lederschuhe sind ganz wichtig. Spezielle Bruderschaften organisieren den Kult, sorgen dafür, dass der Heilige sich wohl fühlt, damit heilende Energie aus ihm strömen kann. Für das Wohlbefinden des Heiligen ganz wichtig sind zwei Dinge: Zigarren und Schnaps, die ihm entsprechend reichlich geopfert werden. Na ja, warum eigentlich müssen Heilige auch immer Abstinenzler und Asketen sein? 

Nun, selbstverständlich ist das bizarr. Aber ist nicht unser ebenfalls synkretistische Kölner Karnevals-Kult völlig bizarr?

Schauen Sie sich die Bilder an – es gibt viel zu sehen!

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