Griechisch hätte sinnvoll sein können
Ja, dergleichen habe ich gelernt im altsprachlichen Gymnasium. Selbstverständlich mussten wir auch den oben abgedruckten Anfang der Odyssee auswendig lernen. Wir mussten es, aber ich konnte noch nie gut auswendig lernen und war entsprechend froh, dass ich nicht aufgerufen worden bin, ...
Fünf Jahre Altgriechisch, jede Menge Stunden pro Woche. Vergeudete Zeit? Sinnlose Quälerei mit einer schwierigen Sprache?
Wenn ich überlege, was wir alles gelernt haben in den verschiedenen Fächern und was davon alles eine sinnlose Quälerei war, dann schwimmt das Griechische mitten drin in einem breiten Strom von allerlei Unterrichtsinhalten, die vielleicht wichtig waren oder sind. Der Tintenfisch beispielsweise wurde durchgenommen. Die einen haben was gelernt in den Stunden und es nach dem Test sofort wieder vergessen, an den anderen ist es vorbeigerauscht wie all die anderen Unterrichtsinhalte, vorbeigerauscht wie der Strahlensatz und die Judenbuche.
Und das liegt nicht an der Judenbuche. Was die Judenbuche mit dem Tintenfisch und der Odyssee verbindet, ist die Tatsache, dass all das interessant ist, dass die allermeisten Jugendlichen in dem Alter sich aber nicht dafür interessieren. Null, nix, nada. Alles Schulstoff, alles egal. Das Leben beginnt, wenn die 6. Stunde vorbei ist.
Und das liegt nicht nur an den Schülern und ihren pubertären und spätpubertären Verstrickungen. Das liegt auch an den Lehrern. Nehmen wir als Beispiel den Griechischunterricht, den ich erlebt habe. Was haben wir gelesen? Xenophon, Plato, Herodot, Homer - die übliche Mischung. Xenophons Anabasis ist relativ leicht. Was für den Lateinunterricht Caesars gallischer Krieg ist, ist für den Griechischunterricht Xenophons Anabasis: Die Schilderung eines Feldzuges. Nun müsste man als erstes diskutieren, ob so etwas überhaupt ein geeigneter Unterrichtsgegenstand ist. Aber auch wenn er das wäre, so wie Platons Symposion, das wir im Anschluß gelesen haben, mit Sicherheit ein interessantes Stück Philosophie ist - selbst wenn der Unterrichtsgegenstand etwas hat, das wichtig ist und Schüler ansprechen könnte, so, wie ich es erlebt habe, konnte das nicht funktionieren.
Die Stunden folgten einem festgelegten Ritual: Zuerst wurden Vokabeln abgefragt. Für jede Stunde mussten wir zwei Seiten aus einem Grundwortschatz lernen. Einer oder zwei Schüler wurden abgefragt, bekamen eine Note. Für die nächste Stunde dann die folgenden Seiten. Das Problem: Das funktioniert so nicht. Schematisch Wörter zu lernen, die nicht gebraucht werden, mag die Fähigkeit trainieren, schnell etwas zu lernen. Wird aber ebenso schnell wieder vergessen.
Danach wurde das nächste Stück übersetzt. Der Lehrer schaute ins Klassenbuch, um zu sehen, bis zu welcher Seite wir gekommen waren (woran man merkt, dass er sich nicht die Spur auf den Unterricht vorbereitet hat), dann kam jemand, der sich meldete, dran und mühte sich dem dem jeweiligen Satz. Es meldete sich immer jemand. Der Grund dafür war recht einfach. Die tägliche Hausaufgabe war nämlich, ein Stück weiter im Text zu übersetzen. Ein Stück, wie weit, war uns überlassen. Also stürzten sich alle auf die ersten drei oder vier Sätze, die sie vorbereitet hatten. Die meisten mit Hilfe einer vorliegenden Übersetzung, "Pons" genannt. Wer seine Übersetzung vorgetragen hatte, hatte dann Ruhe und konnte den Rest der Stunde an sich vorbei rauschen lassen. Wer gar nichts vorbereitet hatte, musste den Rest der Stunde zittern und hoffen, dass er nicht an einem der dunkeln Sätze scheitern würde. Was die Regel war.
Die Folge war, dass wir Schüler überhaupt nicht verstanden haben, was wir da eigentlich gelesen haben. Es blieb immer bei einzelnen Sätzen, bei Puzzleteilen, die kein Gesamtbild ergaben. Vielleicht hat der Lehrer ab und zu versucht, uns Platos Philosophie etwas zu erläutern. Aber warum sollte man da zuhören? Warum sich das merken? Warum versuchen, das Puzzle zusammen zu setzen? Noten gab es nur für das Übersetzen einzelner Sätze. Schade, sage ich heute, denn so uninteressant sind Plato & Co. nicht.

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