Wandlung - Rede zur Ausstellung im Brühler Kunstverein

 Interim 24: Wandlung


Diese Interim-Ausstellung, immerhin schon die 24te, trägt den Titel „Wandlung“. Die Künstlerinnen und Künstler, die dieses Jahr ausstellen, haben sich, so wurde mir erzählt, rasch auf diesen Titel einigen können. Das mag verwundern, denn „Wandlung“ ist schließlich nicht einer dieser Wischi-Waschi-Austellungstitel, unter dem man alles versammeln kann. Die Begriffe Wandel und Wandlung sind recht klar definiert. Immer ändert sich etwas, offen bleibt allerdings, in welche Richtung die Wandlung geht. Beim Klimawandel, um mal ein Beispiel zu nennen, auf das ich noch zurück kommen werde, geht der Wandel in eine vornehmlich unerwünschte Richtung. Bei der religiösen Zeremonie der Wandlung andererseits werden Brot und Wein in etwas Höheres verwandelt. Der Held von Franz Kafkas bekannter Erzählung „Die Verwandlung“ wiederum sieht seine Verwandlung vom Menschen zu einem Insekten sicherlich nicht als eine Höherentwicklung.



Tamara Baum Mindlin


Auf den beiden Bildern, die Tamara Baum Mindlin dort drüben aufgehängt hat, ist die Wandlung mit den Händen zu greifen. Eine Gruppe von Ratten übernimmt ein Haus. Als Eingang nehmen die Tierchen nicht die Haustür, sondern das Abflussrohr, durch das wir normalerweise unliebsame Exkremente dezent entsorgen - eine Umkehr des Gewohnten. Respektlose Ratten nehmen den Platz der Menschen ein. Das Motiv, also der Rollentausch zwischen Tier und Mensch, hat mich spontan an eine frühe Arbeit von Loriot erinnert: 1951 - 1953 sind nämlich im Stern unter dem Titel „Auf den Hund gekommen“ Zeichnungen des damals noch unbekannten Loriot erschienen. Die Serie „Auf den Hund gekommen“ musste allerdings wegen der wütenden Proteste zahlreicher Stern-Leser eingestellt werden, was zeigt, welche Emotionen solche scheinbar harmlosen Arbeiten haben können. Nicht nur damals, sondern auch heute dürften die beiden Bilder von Tamara Baum Mindlin die unterschiedlichsten Emotionen beim Betrachter hervorrufen, sicherlich auch das zweite Bild: Eine Tischgesellschaft, vielleicht drei Freunde, die sich getroffen habe, um sich ihrer Leidenschaft zu widmen, dem Verzehr von Fleisch, Menschenfleisch. Von Ferne grüßt Goyas schwarzes Gemälde „Saturn verschlingt seinen Sohn“

Auch bei den Objekten spielt eine Wandlung eine Rolle. Jeder Torso ist auf seine Weise skurril. Loben die Objekte den Mut zum „Aus-der-Rolle-Fallen“? Oder kritisieren sie, welche groteske Auswüchse Mode haben kann? Das lässt die Künstlerin offen, bewusst. Was sie aber nicht offen lässt, ist, dass es um Rollen geht, um die Rollen, die vornehmlich Frauen durch Mode, Gesellschaft und Umfeld vorgegeben und aufgedrängt werden. Tamara Baum Mindlin selbst verweist im Zusammenhang mit ihren Arbeiten auf die sogenannten Influencer, vor allem die Influencerinnen, Einflüsterinnen, wie man besser sagen sollte. Trendsetter im Bereich der Mode - und übrigens auch der Kunst - hat es selbstverständlich schon immer gegeben. Durch die sozialen Medien aber hat das ganze eine neue Quantität, wenn nicht gar eine neue Qualität bekommen.

Harmlose Auswüchse? Eher nicht. Denn erstens geht es vermehrt nicht nur um eine Modefarbe, sondern um Eingriffe in den eigenen Körper, um Eingriffe unterschiedlicher Intensität, deren Grund immer der gleiche ist: Unzufriedenheit mit dem eigenen Aussehen, Unzufriedenheit mit sich selbst. Das vorgefundene Eigene wird als etwas zu Verwandelndes begriffen - wobei die Sache ein wenig wie mit dem Hasen und dem Igel ist: Wie die Hasen rennen sich die Nachahmerinnen die Seele aus dem Leib, vergeblich, denn die Einflüsterinnen, that’s the nature of the game, sind immer gerade woanders.

Auf der Strecke bleibt bei dem Spiel, das Tamara Baum Mindlin mit ihren Objekten mehr ironisch-spielerisch als polemisch-kritisch beleuchtet, die Individualität, „die Schönheit jeder Frau“, wie sie selbst sagt.



Shahram Gilak


Man denkt selten darüber nach, aber ist nicht die Malerei als solches schon eine Verwandlung, ja eine Zauberei? Das beginnt nicht erst in dem Moment, in dem der Künstler Pinsel oder Stift in die Hand nimmt und aus Tuben oder Töpfen ein mal mehr und mal weniger zähflüssiges, oft auch stinkendes Zeugs entnimmt, um auf einer Leinwand das Abbild einer lichtdurchfluteten Landschaft zu kreieren, einer, wie Shahram Gilak sagt, Landschaft, die vor allem durch die Farbe Einfluß auf die Psyche nimmt.

Die Wandlung beginnt schon früher, die Wandlung nämlich beginnt schon da, wo aus diversen Materialien mithilfe eines alchemistisch anmutenden Prozesses eine Farbe gezaubert wird und aus den Farbe eine zweite Realität. Das hat immer im Geruch der Zauberei gestanden, der Gaukelei zumindest und ist öfters verurteilt worden, da alle Arten von Gaukeleien in die Trickkiste des Teufels gehören. Malerei, das Schaffen oder genauer die Vorspiegelung einer eigenen, zweiten Realität, hieß und heisst es dann, sind des Teufels, da doch das Kreieren, das Schöpfen, nur Gott zukommt.  Klingt abseitig, ist es aber nicht nur.  Denn in solchen Vorstellungen ist die Erkenntnis aufgehoben, dass die Kreativität des Menschen dann, wenn sie eine neue, eine zweite Realität schafft - eine Künstliche Intelligenz z.B. - dass dann immer auch dunkle Kräfte lauern.

Nun, das hat jetzt etwas vom Thema abgeführt. Aber nur etwas. Denn das Kreieren von eigenen Farben und einer eigenen Realität sind für Shahram Gilak sehr wesentlich, ferner die Übertragung und Verwandlung von Traditionen für die heutige Zeit. 

Besonders angetan hat es ihm die Farbe Blau. Am Anfang seiner Faszination für das Blau standen die Fresken Giottos, die er vor Ort gründlich studiert hat. Wie, hat er sich gefragt, kann ich Giottos Blau auf die Leinwand bringen? Geht nicht, sagten Fachleute. Geht nicht gibt’s nicht, sagte Shahram Gilak und damit begann für ihn eine sich über Jahre hinziehende Phase des Experimentieren mit Lapizlazuli. Dass Giottos Blau seine Eigenart dem Halbedelstein Lapislazuli verdankt, hat schon Cennino Cennini, ein Schüler eines Schülers von Giotto, in seinem Libro dell’arte beschrieben, aber immer nur bezogen auf Freskomalerei.

Hat Sharam Gilak es geschafft, in seiner Alchemistenküche „sein“ Blau und „seine“ Farben zu treffen? Halbedelsteine in Landschaften zu verwandeln und die Tradition der Freskomalerei so zu wandeln, dass sie einen Ort in der zeitgenössischen Leinwandmalerei finden kann? Er selbst sagt, er sei immer noch auf dem Weg …



Roswitha Mecke


„Wie Bäume wachsen“ - den Hintergrund zu dieser Fotoserie von Roswitha Mecke bildet die Yoga-Stellung „Der Baum“. Aber man muss kein Yoga-Spezialist sein, um die Qualitäten von Bäumen einschätzen zu können: Sicherheit, Standfestigkeit, Stärke wären da zu nennen. Aber - und auch das zeigen diese Bilder ebenso wie die realen Bäume - Bäume sind nicht einheitlich, sie folgen keinem Schema und lassen sich kaum in eine Form pressen. Ein starrer Baum ist ein verdorrter Baum, er wird über kurz oder lang zerbrechen. Zum Leben des Baumes gehört Wandlung, Elastizität, Biegsamkeit, Nachgeben-Können, Eigenschaften, die nicht zu verwechseln sind mit Weichheit oder einer sich ins Beliebige auflösenden Formlosigkeit.

„Wie Bäume wachsen“ - Wachstum, ganz gleich ob in der Natur oder im übertragenen Sinne, Wachstum funktioniert nicht ohne Wandel, nicht ohne Wandlungen, die längst nicht immer gradlinig sind. Sondern je individuelle, vielgestaltige Wandlungen, Wandlungen hindurch durch viele Gestalten. 

Und keine Zauberei. Niemand  wacht eines Morgens aus schweren Träumen auf und ist in einen Baum verwandelt. Zu der Wandlung, die diese Bilder meinen, braucht es schon ein wenig Arbeit, wenigstens eine gute Portion Offenheit, sonst tut sich da nix.

Bei den Fotos von Roswitha Mecke handelt es sich um Schnappschüsse. Ich weiß, in den Kreisen der künstlerischen Photographie ist der Schnappschuss ein No-Go.

Schnappschuss, das mag despektierlich klingen, trifft aber den Kern. Die Fotografin schiesst einen Moment aus einer Bewegung, einer Wandlung heraus, schnappt sich diesen Moment und hält ihn fest.

Schade eigentlich. Hätten wir nicht gerne gesehen, wie die Bewegung, aus der wir nur ein Standbild sehen, weitergegangen ist? Die ganze Entwicklung, die ganze Wandlung, das Ziel, den Endpunkt?

Aber nein, diesen Endpunkt gibt es gar nicht. Es handelt sich halt nicht um eine Verwandlung -  Hexe hex und du bist eine Prinzessin oder, je nachdem, eine Kröte … und das war’s dann. Nein, eine Wandlung mit Ziel, dessen Gestalt aber nicht starr, sondern vielgestaltig ist. Wie die Wandlung weitergegangen ist, wird man in 10, in 20 Jahren sehen. Dann werden sich diese Schnappschüsse in dokumentarische Fotografie verwandelt haben.



Manfred Oswald 


Bei den Bildern von Manfred Oswald handelt es sich um spontane, gestische Malerei, könnte denken, wer auf die Arbeiten, die er in dieser INTERIM präsentiert, nur einen flüchtigen Blick wirft, um eine Malerei, die sich in die Tradition von Künstlern wie Walther Störer oder Karl Otto Goetz einreiht. 

Stutzig wird man allerdings, wenn man liest, dass Manfred Oswald an der staatlichen Werkkunstschule bzw. Fachhochschule Saarbrücken bei Robert Sessler und Oskar Holweck studiert hat, der letztere war Mitglied der Künstlergruppe ZERO und der erstgenannte seinerseits Schüler des Bauhaus-Lehrers Johannes Itten. Gestische, spontan-expressive Malerei war beiden Kunstrichtungen bekanntlich ein Gräuel. 

Nun gibt es ja selbstverständlich Künstler, die nicht in den Spuren ihrer Lehrer wandeln, sondern ganz eigene Wege einschlagen. Bei Manfred Oswald, der lange als Grafik-Designer gearbeitet hat, ist das freilich nicht so.

Bei seinen „freien“ Arbeiten, die er hier zeigt, geht es ihm nicht um den schönen, dekorativen Schwung. Wandverschönerungen zu kreieren, deren Reiz sich im Grafischen erschöpft, ist nicht sein Ziel. 

Es geht ihm, so sagt er selbst, um die Beziehung Mensch-Natur. Auch er hat viel mit eigenen Farben experimentiert und eigene Techniken entwickelt, hat beispielsweise untersucht, welche Auswirkungen es hat, wenn man Farben nicht mit Leitungswasser, sondern mit Wasser aus dem Rhein oder der Mosel anmischt. Einige Ergebnisse aus der „blauen“ Serie - blau, eine Anspielung auf die blaue Blume der Romantik - können Sie hier sehen.

Spuren des Zusammenwirkens von Mensch und Natur werden vor allem in den schwarz-weißen Arbeiten sichtbar, die im Zusammenhang mit der Flutkatastrophe an der Ahr entstanden sind. Das Ausgangsmaterial waren Flaschen mit Ahrwein, deren Etiketten Spuren des Schlammes zeigen, der sich bei der Überflutung eines Weinkellers auf den Flaschen abgesetzt hat.

Und da sind wir, wie eingangs angekündigt, am Schluss beim Klimawandel angelangt, denn dass dieser Wandel, deren Zeugen wir alle derzeit werden, eine Rolle bei den Überflutungen gespielt hat, dürfte unbestritten sein. 

Die Bilder von Manfred Oswald könnten und sollten ein Anstoß sein, diese Wandlungsprozesse und das Verhältnis des Menschen zur Natur nicht aus dem Blick zu verlieren. 


Juni 2024 - Martin Haeusler

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